Rachel Braunschweig

RACHEL kommt. Und mit ihr alles, was sie schon ist, was sie mit sich trägt, zwischen Bühne und Bildschirm, Text und Rampe. Wandelbar und bunt wie das CHAMÄLEON, stark und fest wie die EICHE, ist Rachel in unserem Theater zuhause.




Interview

Rachel kommt durch die Tür des NEUen Kafis am Röntgenplatz und unterhält sich kurz mit der Bedienung. «Kenn ich schon ewig», meint sie nebenbei und mustert ihr Gegenüber – mich – durchdringend. Erst jetzt fallen mir die gletschereisernen Augen auf. Die ServÖse kommt und Rachel bestellt sich Cappuccino mit Hafermilch und ich Americano, schwarz. Wie immer. 

Da es das erste Mal ist, dass Rachel und ich Zeit zu zweit verbringen – gut, die Spielzeit hat ja noch nicht einmal begonnen – bin ich etwas nervös. Ich möchte ja einen guten Eindruck hinterlassen, nicht nur im Angesicht dessen, dass wir nun möglicherweise mehrere Jahre miteinander verbringen könnten, sondern auch weil Rachel so nett lächelt, hier, aber auch schon, als wir beim Hausapéro quatschen. Ich möchte auch einen guten Eindruck hinterlassen, da Rachel mir ein willkommenheissendes Gefühl vermittelt. Ich schaue auf ihre verschränkten, blau lackierten Fingernägel und atme durch, schalte die Aufnahme im Handy an (halb aus Absicherung gegen meine Vergesslichkeit, halb um professionell zu wirken). 

Ich möchte Rachel die drei Fragen stellen, die ich mir zurechtgelegt habe. Trotz aller meiner eigenen Mäkel, Stichwort: Abbildbarkeit. Ich fühle mich ein bisschen altmodisch und vor allem fantasielos, aber glaube trotzdem an mein kleines Format, das ich mit Till letzte Woche ersonnen habe. 

Leider ist das Gespräch sehr angenehm und ich hätte es schade gefunden, es so mit meinen Fragen zu formalisieren. Rachel erzählt mir von ihrer Familie, ihren Kindern, der Arbeit beim Fernsehen und «Tatort» im Speziellen und es ist schnell offensichtlich, dass ich mit Rachel nicht nur eine Spielerin mit Trieb zum leidenschaftschlichen Schaffen vor mir habe, nein, sie spricht mit dieser fokussierten Klarheit, die eine tiefer empfundene Begeisterungsgabe verrät. Mir fällt auch auf, dass ihre Sätze beim Sprechen subtil komplex sind, sie sagt auch fast nie «Ähm» — Profi, denk ich mir. 

Trotzdem stelle ich schliesslich meine erste Frage an Rachel, wenn auch in anderer Reihenfolge als vorbereitet und auch jetzt schon redundant:


FREDI: «Was denkst du, sollte ich über dich wissen?»

RACHEL: «Über mich, hm? Kommt immer drauf an, wen man fragt (lacht). Ungeduldig, schnell gelangweilt, ja, ich langweile mich schnell – und dann, diese erlaubten Pausen. Die Pausen, die ich mir erlaube, werden tatsächlich irgendwie noch weniger mit dem Alter. Ich war wohl nie gut mit dieser Work-Life-Balance. Ich wollte irgendwann mal Tänzerin werden und bin eigentlich nur durch Zufall hier gelandet. Ich vergesse mich bei der Aufführung immer, komme von der Bühne, ganz verdutzt, wieder da zu sein.»


Wir driften schnell ab, unterhalten uns darüber, was wir an der Arbeit schätzen. Was uns zuletzt beschäftigte. Ich sage, dass ich dieses Jahr zu den Möglichkeiten insbesondere queerer Sprachlosigkeit arbeitete. Rachel erzählt mir, sie suche nach etwas, was wiederhohlbar transzendieren könnte, aber dennoch nie seine Überraschungsfreude verlieren würde. Das wärs, ja. 

Wir haben eine kleine Auseinandersetzung darüber, was ein «diverses Ensemble» bedeuten würde. Rachel ist ein wenig vorsichtiger als ich, betont unsere innereuropäisch weite Erfahrungsaufteilung am Haus und schliesslich einigen wir uns – da ich auch nicht direkt als diese Maus gelabelt werden möchte – dass durchaus eine interessante, sich untereinander bespielende und vielseitige Ansammlung an Menschen und Texten hier zusammengebracht wurden. Ich finde ausserdem die Entscheidung, zuerst AM RAND in der Chorgasse zu zeigen, bereits ein Zeichen der Gewilltheit des Hauses Stellung zu beziehen, auch darauf einigen wir uns.

Rachel möchte mir dann noch etwas zu trinken bestellen, aber ich bin glücklich mit meinem Wasser. Ich schiebe zögerlich mein Handy hin und her, während sie kurz auf Toilette ist, in Gedanken verloren, merke es nicht wirklich, höre es erst später auf der Aufnahme, die durch das Stimmengewirr, um uns sowieso schon schwer genug zu transkribieren ist.


FREDI: «Was wünscht du dir vom NEUmarkt?»

RACHEL: «Ich sags mal einfach so raus, oder? NEUstart! Ich suche nach der creative family. Durchforsten von Text, das Eintauchen in Gespräche. Das ist auch, warum ich das Theater wieder so gesucht habe in meinem Leben, ich glaube das ist tatsächlich wirklich möglich an dem Haus und mit den Menschen, die jetzt da sind – gemeinsam NEU anzufangen.» 

FREDI: «Weil ich mit Till drüber sprach: Wer wärste in unserer Hausband?»

RACHEL: «Wenn ich mich auf ein Instrument beschränken müsste, wäre es die funky Bassgitarre von Wendy Melvoin. Groovy und sexy – Und ich wollte ja auch immer Lärm machen, ein zündendes Moment.»


Als ich gehe, habe ich das Gefühl, dass wir mehr über mich und meinen Werdegang gesprochen haben, als über Rachel, was ja eigentlich nicht die Idee gewesen war. Die Aufnahme beruhigt mich jedoch ein wenig, wenn ich glaube zu hören, dass Rachel schlicht aufrichtig NEUgierig war und die Fragen sich am Ende vielleicht doch gelohnt haben. Beim Transkribieren später liege ich im Bett und lächle ein wenig, auch wenn die Aufnahme ständig zurückgespult werden muss, weil ich uns kaum verstehen kann.


FREDI: «Und schliesslich, die dritte Frage (lacht): Wann bist du konservativ? Wann fühlst dich Bünzli?»

RACHEL: «(Lacht.) Bei meinen Nachbarn! Das ist das erste, was mir in den Sinn kommt! Nein, aber wirklich immer mit ihrem Jazz um halbzwölf! Weisst du, ich hab einfach diesen Wunsch nach einem Rückzugsort, dieses eremitische Bedürfnis, geht kaum zuhause. Wo ich lebe, ist das Gegenteil. Aber ja, ich fühle mich konservativ mit meinem Wunsch nach Ruhe. Meiner Sehnsucht nach einem Ort ohne Wort und Klang.»

Zu sehen in

Dinner für (no) One

vom 08.12
bis 18.01
Autor*innen:
Guillaume Poix, Rebekka Kricheldorf, Freddie Frinton & May Warden
Regie:
Ensemblö

Die Stille

vom 22.09
bis 16.01
Text:
Guillaume Poix
Regie:
Paula Lynn Breuer