Till Schaffnit
Der FROSCH quakt laut und reisst müde Bürger*innen aus dem Schlaf der Vernunft. Es gibt auf TILLs Gesicht immer ein schelmisches Lachen. Wir können sicher sein, dass Till schamlos unsere lauwarmen Gewissheiten aufrütteln wird.

Interview
Till treffe ich an einem gräulichen Donnerstag morgen im Gleis. Wir sind beide verschlafen und unsicher, warum wir uns so früh verabredet haben. Nach dem Bestellen, setzen wir uns raus, neben eine junge Familie, deren Kinder uns NEUgierig bespähen. Auf der Aufnahme höre ich später, dass sie amerikanisches Englisch sprechen, was mir ganz entfallen war. Als Einstieg in unser Gespräch kurz Smalltalk, Till und ich kennen uns schon ein bisschen, haben bei Viccy Link (demnächst mit DAS KLEINE PONY am Neumarkt) zusammengearbeitet und ich bin irgendwie glücklich, dass mein erstes dieser Gespräche mit dem ENSEMBLö mit Till ist.
Lächelnd befrage ich Till ein wenig, wie es Sinn ergeben würde, dieses Vorstellungsformat aufzubauen, welcher Rahmen der richtige ist. Was Till denkt, wie sich Leute überhaupt vorstellen lassen, in all ihren Widersprüchlichkeiten und Eigenheiten. Wir sind uns schnell einig, dass das gar nicht geht.
Ich lächle aber auch, weil dieses Motiv der Ungewissheit gegenüber des Anderen ein sich durchziehendes Motiv in vielen der Stücken in der Spielzeit ist. In DIE STILLE gibts dieses dichte Netz von gegenseitiger Beobachtung, mit unzuverlässigen Erzählenden, dann in ROMY ganz ähnlich – es ist ein bisschen auch Guillaume Poix Ding – oder bei BLAUPAUSE, AM RAND und DAS KLEINE PONY zum Beispiel, wo sich auch Spielereien mit Abbildbarkeit, Problemen der Figürlichkeit und solcherlei Sachen zeigen. Wie der Blick der Anderen die eigene Person gestaltet und andersrum, Beobachtungen und Bewertungen aus ersterzweiterdritter Hand. Werturteile in Zeiten ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Naja – Ich schaue Till in die warmen, braunen Augen und halte kurz inne.
Meine erste Frage, nachdem ich die Aufnahme auf meinem Handy als Übersprungshandlung gestartet habe, ist ein Gimmick, um das Gespräch NEU zu starten und Till antwortet schlagartig:
FREDI: «Welche Frage, denkst du, hätte ich dir zuallererst stellen sollen?»
TILL: «Nach den Pronomen! Ich benutze keine Pronomen. Ich mag es, wenn man mich mit Till anspricht.»
FREDI: «Was denkst du, können wir Queers zum Haus hinzufügen?»
Till denkt über meine hervorgeplatzte Frage lange nach, schaut durch die Bäume auf die Gleise, durch die vorsichtig, erste Sonnenstrahlen hindurchfallen und das Metall zum Schimmern bringen. Die Gräue verflüchtigt sich zmittag. Ich entschuldige mich, aus schlechter Gewohnheit, dafür sollte die Frage jetzt zu gross gewesen sein.
TILL: «Ich glaube, ich sehe, Nee, ich glaub, ich muss zuerst… Die Entscheidung mich als non-binär zu bezeichnen, hat viel damit zu tun… Oder wie soll ich sagen… Das Schauspielern, oder das Performen, bietet mir die Möglichkeit mich zu verändern. Ich hab in der Schule diesen Judith Butler Text gelesen, ‹Gender Trouble›, und da steht ja drin, dass Gender performativ ist und dann war die Übersetzung davon irgendwie sofort klar und das habe ich als eine megagrosse Freiheit wahrgenommen, dass ich da auf der Bühne tatsächlich etwas anders machen kann, für mich aber auch für die Leute die zuschauen.»
FREDI: «Es muss nicht nur wiedergegeben werden was da ist – was würdest du sagen, oder, was – es ist ne Frage, die sich nicht beantworten lässt, klar, aber: Deswegen frage ich, was ist das erste, was dir in den Sinn kommen würde, was dir wichtig wäre darzustellen? Was denkst du, was fehlt? Auch wenn es das nicht gibt, es könnte ja sein. Was würde dich freuen, anders gesehen zu werden, anders zu spielen?»
Später skippe ich durch die Aufnahme, genervt, dass ich nicht zum Punkt komme. Ein Zug fährt laut vorbei, ich schaue aus meinem Bett auf, indem ich transkribiere – der Zug war aber nicht jetzt. Wieder denkt Till lange nach, bevor schliesslich:
TILL: «Also bei mir nen grosses Thema, was ich mir wünsche, ist, vor nem Publikum in einen Moment der Scham zu kommen, der ein lustvolles Gefühl gibt.»
FREDI: «Schön! So – und als letztes habe ich mir noch gedacht, es wäre schlau, eine Frage zu haben, die ich dann allen stellen kann, wie als verbindendes Element dieser Vorstellungen, was denkst du?»
TILL: «Ja, das habe ich auch gedacht und habe mir etwas überlegt: Ich finde dieses, auch was Mathieu so ein bisschen als Konzept hat, ist diese Frage nach: Was bedeutet es, konservativ zu sein? Wer ist für wen konservativ? Also, wo fühlst du dich konservativ?»
FREDI: «Und wann fühst du dich konservativ?»
TILL: «Ja das hab ich mir noch nicht überlegt (lacht). – Ja, ich würde sagen: Bei meinem Musikgeschmack. Ich höre am liebsten Rolling Stones. Würdest du sagen, das ist konservativ?»
FREDI: «Hm, glaub von heute zurückblickend in mancher Hinsicht schon, klar, gleichzeitig finde ich ist das mittlerweile die dominante Sicht auf sie. Aber ich finde, das stimmt nicht ganz – in ihrer Zeit lese ich es schon so, dass die Stones progressive Edges hatten und ne Verbindung zu der Avantgardekultur um sie. Jodorowski, Godard, etcetera. Aber ja, ihr Frauenbild und wie sie heute sind, ja…»
TILL: «Ich glaub mein allergrösster Wunsch wär, und wird immer sein, eine Band zu haben. Das find ich so altbacken, wenn ich sage: Ich wäre gern ein Rocker! Aber dieses Gefühl, was mir beispielsweise die Musik der Stones gibt, gibt mir immer so viel Freiheit, dass, dass, ja, … Das ist glaub ich auch mein Wunsch an das ENSEMBLö und das NEUmarkt.»